Künstliche Intelligenz (KI), Offenheit und Pädagogik
Eine Einladung zum gemeinsamen Weiterdenken von Nele Hirsch (eBildungslabor), Regina Schulz, Britta Kölling, Maria Klar, Leena Simon (muendigkeit.digital), Kirsten Scholle, Michael Töpel (Zukunft Lernen gGmbH) und Uwe Kranz.
Das Thema KI beschäftigt aktuell viele Pädagog*innen und Gestalter*innen von Bildung. Angestoßen wurde diese Diskussion insbesondere durch die Veröffentlichung des Chatbots ChatGPT im November 2022. Der hauptsächliche Grund für das große Interesse ist, dass traditionelles Lehren und Lernen, das auf der Vermittlung von Inhalten und deren Überprüfung durch Reproduktion basiert, angesichts dieser neuen technologischen Möglichkeiten kaum noch praktikabel scheint. Wir begrüßen es sehr, dass auf diese Weise in der pädagogischen Debatte vieles in Bewegung gerät und KI als ein willkommener Lernkultur-Veränderungsimpuls wirkt. Doch die Intransparenz und Geschlossenheit von proprietären KI-Tools stehen unserem Leitbild einer offenen und demokratischen Gestaltung von Bildung entgegen. Wir rufen deshalb dazu auf, auf der Basis von Offenheit gemeinsam nach Alternativen für proprietäre KI-Tools in der Pädagogik zu suchen. Wir haben noch keine fertigen Lösungen, sondern laden alle Interessierten dazu ein, sich uns bei der Entwicklung von Fragen und Antworten anzuschließen. Wir sind nicht der Auffassung, dass Offenheit alle Probleme rund um KI löst. Ohne Offenheit bei der Entwicklung von KI-Tools entbehrt eine offene und demokratische Gestaltung von Bildung allerdings jeglicher Grundlage.
1. Warum ist Offenheit grundlegend für KI in der Pädagogik?
Wir halten Offenheit aus mehreren Gründen für grundlegend bei der Entwicklung und Nutzung von KI in der Pädagogik.
1.1 Bildung ist eine öffentliche Aufgabe. Es muss demokratisch entwickelt und entschieden werden, was in öffentlichen Bildungseinrichtungen wie Schulen, Fachhochschulen und Universitäten gelehrt und gelernt wird. Da eine KI trainiert wird, lässt sich nicht vorab festlegen, was am Ende als Ergebnis angezeigt wird. Bei proprietären KI-Tools sind allerdings weder Datenbasis noch verwendete Filtermechanismen transparent. Somit ist nicht demokratisch gestaltbar, welche Inhalte bei der Nutzung von KI-Tools auf welche Weise angezeigt werden und was ausgeblendet wird.
1.2 Das Ziel von Bildung ist gesellschaftliche Handlungsfähigkeit. Bildung unter den Bedingungen der Digitalität heißt in diesem Sinne auch, dass eine aktive Gestaltung von Technologien und ihrer Anwendung erlernt werden muss. Durch die Geschlossenheit proprietärer KI-Tools wird dieser Anspruch negiert. Lehrkräfte und Lernende haben keine Möglichkeiten zur Gestaltung dieser.
1.3 Gute und damit nachhaltige und demokratische Bildung zielt auf digitale Mündigkeit. Es muss eine selbstbestimmte und verantwortliche Entscheidung getroffen werden können, ob und wie eine Technologie genutzt wird. Angesichts fehlender Alternativen zu proprietären KI-Tools ist solch eine Entscheidung nicht möglich. Zu einer mündigen Entscheidung gehört auch, dass persönliche Daten geschützt werden können. Auch das ist bei den vorherrschenden proprietären Tools nicht gegeben.
1.4 In einer immer komplexeren Welt steht Bildung vor großen Herausforderungen. Nötig ist insbesondere Kompetenzentwicklung zu kritischem und kontextuellem Denken. Um diese Herausforderung auch mithilfe von KI angehen zu können, muss KI-Entwicklung dezidiert mit einem pädagogischen Fokus erfolgen. Da proprietäre KI-Tools nicht offen entwickelt werden, gibt es nur die Option, das einzusetzen, was angeboten wird. Es fehlt somit an einer pädagogischen Debatte darüber, welche Funktionen eine ‚Lern-KI‘ optimalerweise bieten müsste. Derzeit wird die Gestaltung von KI-Tools Anbietern von Software ohne pädagogisches und didaktisches Fundament überlassen.
1.5 Alle Menschen müssen die Möglichkeit zur Teilhabe an Bildung haben. Derzeitige KI-Systeme bieten noch einen niederschwelligen Zugang und für alle Benutzer*innen (fast) gleichwertige Funktionen. Im Zuge zukünftig wachsender Monetarisierung der Angebote steht allerdings infrage, inwieweit hier echte Bildungsgerechtigkeit gewährleistet werden kann. Das öffentliche Bildungssystem darf sich auch vor diesem Hintergrund nicht von Anbieter*innen proprietärer KI-Tools abhängig machen.
2. Wie lässt sich Offenheit für KI in der Pädagogik realisieren?
Wir sehen mehrere Ansatzpunkte, wie sich KI mit Offenheit für die Bildung realisieren lässt.
2.1 Unerlässlich ist für uns die Entwicklung, Förderung und Verbreitung von Open Source-KI. Nur so kann demokratische Gestaltung und Nutzung ermöglicht werden. Erste vielversprechende Ansätze für eine Open-Source-KI zeigen beispielsweise Modelle wie Alpaca von der Stanford Universität. Es ist allerdings zu beachten, dass solche Open-Source-Projekte ohne massive öffentliche Förderung immer deutlich hinter proprietären KI-Tools zurückbleiben werden. Nötig ist deshalb eine konsequente Umsetzung des Grundsatzes ‚Public Money – Public Code‘ auf Ebene der EU.
2.2 Die Entwicklung von KI-Tools für die Bildung ist nicht nur eine technische Herausforderung, sondern auch eine pädagogische Aufgabe. Wir setzen uns deshalb für interdisziplinäre Räume ein, in denen KI-Tools ko-kreativ an der Schnittstelle von Pädagogik und Informatik entwickelt und reflektiert werden. Dazu gehört beispielsweise Forschung und Entwicklung zu intelligenten Lernassistenten, die Open Source sind und lokal auf Endgeräten laufen können. Dies könnte eine Möglichkeit darstellen, dass Lernende von Lernunterstützung wie Feedback und Adaptivität profitieren und gleichzeitig die Hoheit über ihre Daten erhalten.
Ein weiterer Bereich wäre die Entwicklung pädagogisch-didaktischer Datensets. Diese Datensets können zum transparenten Training von pädagogischen KI-Tools eingesetzt werden. Eine Vielfalt an Datensets ermöglicht eine Vielfalt an pädagogischen Modellen, die beispielsweise konstruktivistischen Lehr- und Lernansätzen folgen. Die Einbindung in ein pädagogisch genutztes KI-System könnte für Datengeber*innen wie Bibliotheken, Archive, Sammlungen, usw. geeignete Anreize schaffen, um ihre Angebote im Sinne eines öffentlichen Bildungsauftrags offen, digital und breitenwirksam zur Verfügung zu stellen.
Entscheidend bei dieser ko-kreativen Gestaltung ist außerdem, das Interface der Tools in den Blick zu nehmen, sodass insbesondere inklusive Lernprozesse ermöglicht werden.
2.3 Offenheit bei der KI-Entwicklung bedeutet ebenfalls, Lehren und Lernen nicht als von der Gesellschaft separierte Räume zu verstehen, sondern ethische Dimensionen mit zu reflektieren. Eine ressourcenintensive KI, deren Training auf Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft insbesondere von Menschen im globalen Süden basiert, lässt sich mit einem aufklärerischen Bildungssystem, das auch nachhaltige Entwicklung als Bildungsziel fördert, nicht in Einklang bringen. Im Rahmen einer offenen Entwicklung wäre aber Raum, um genau solche Herausforderungen zu reflektieren und Alternativen zu entwickeln.
2.4 Demokratische Entscheidungsprozesse erfordern Transparenz, um sicherzustellen, dass alle beteiligten Akteur*innen fair und gerecht beteiligt werden. Im Gegensatz dazu kann die Intransparenz von KI aufgrund ihrer Komplexität und der Verwendung von geschlossenen Datensätzen, intransparenten Algorithmen und Machine Learning-Prozessen die Möglichkeit von Diskriminierung verstärken. Es ist daher von entscheidender Bedeutung, dass die Auswirkungen von KI auf die Gesellschaft und Bildung ausreichend berücksichtigt werden. In diesem Zusammenhang müssen angemessene Maßnahmen zur Gewährleistung der Transparenz von KI-Entscheidungen entwickelt und implementiert werden, um die demokratischen Werte und Prinzipien zu wahren.
2.5 Wichtig ist für uns, dass die durch neu entwickelte offene KI-Werkzeuge eventuell freiwerdende Ressourcen im Bildungssystem verbleiben. Wir sehen diese mögliche Dividende als eine Chance, um zu einer überfälligen, veränderten Lernkultur zu gelangen. Denn die von uns angestrebte Transformation von Bildung hin zu mehr Open Educational Practices (OEP) erfordert zahlreiche Ressourcen, die aktuell im Bildungssystem fehlen.
2.6 Im Kontext von KI, Offenheit und Pädagogik sehen wir große Potentiale zur Unterstützung von Open Educational Resources (OER). Insbesondere könnten KI-Tools weiterentwickelt werden, die die Auffindbarkeit durch Metadaten verbessern oder den Remix durch Veröffentlichung von Inhalten in unterschiedlichen Formaten oder in unterschiedlichen Sprachen unterstützen. Dieser Aspekt sollte in der OER-Strategie der Bundesregierung Berücksichtigung finden.
2.7 Zu Offenheit im Kontext der KI-Debatte gehört für uns schließlich auch dazu, dass der gründlich abgewogene Verzicht auf die Nutzung von KI-Tools in der Schule eine Option bleiben sollte, sofern sich grundlegende Probleme nicht auflösen lassen. Schule muss sich jedoch immer mit aktueller Realität auseinandersetzen, deshalb ist der ggf. ko-kreative, immer kritische Umgang mit KI Teil der in der Schule zu vermittelnden Kompetenzen.
3. Was sind nächste Schritte?
Mit diesem Aufruf möchten wir Organisationen, Initiativen und Einzelpersonen, die an der Entwicklung und Nutzung offener KI-Technologie für die Pädagogik Interesse haben, zu einer Vernetzung einladen. Gemeinsam können wir unsere Ideen konkretisieren, unsere Kräfte bündeln und mit konkreten Forderungen an politische Entscheidungsträger*innen herantreten.
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